Wenn die Nacht den Tag verdeckt (VÖ: 31.01.2014)

Der Wagen steht quer auf der Autobahn, der Schlüssel steckt. Desiree Klaeukens kniet daneben und sagt: "Ich hab sie alle erwischt, glaube ich, wenn nicht, du hast ja meine Nummer." Dann schiebt sie den Holzpflock unter den schwarzen Mantel, wischt sich den Schweiß von der Stirn, zieht die Mütze drüber und fährt nach Hause. Auf dem Rücksitz die verschrammte Gitarre, die Waffe, wenn sonst nichts hilft.
Daheim schiebt sie den Riegel vor, kocht Wasser, wirft ein paar Scheite nach, setzt sich auf eine Teekiste und singt für sich selbst: "Der Wolf war ein Hund und alles, was krank war, wird wieder gesund."

Ich steh immer noch draußen im Niemandsland. Es wird Nacht. In der Ferne leuchtet das Bayer-Kreuz. Ich hab Desis Lieder bei mir. "Was ich jetzt denke, willst du wissen. Was ich weiß, verrate ich nicht." Dabei hat sie viel, sehr schnell fast alles verraten, als wir zusammen unterwegs waren.

Dass sie damals unweit von hier Autos zusammengeschraubt und nach sieben Jahren den Goldklumpen gegen eine Gitarre getauscht hat. Wie sie später Post ausfuhr, während Neil Young ihr vorsang: "I gotta get away from this day-to-day running around. Everybody knows this is nowhere." Wie sie beschloss, nur noch Musik zu machen. Wie sie mit Bob Dylan, Nick Drake, Leonard Cohen, James Taylor, Carole King, Joni Mitchell und all den anderen die alte weite Welt vom Laurel Canyon bis nach Nebraska an sich vorbeiziehen ließ und fieberhaft Logbuch schrieb. Wie sie auf den Schultern ebenjener Riesen stehend, ihre eigene Stimme fand, die ihr niemand mehr wegnehmen kann. Wie sie Florian Glässing kennenlernte, der mitgejagt, mitgeschrieben und auch auf "Wenn die Nacht den Tag verdeckt" mitgesungen hat.

Und wie sie schließlich mit diesem Debüt, das sie in Hamburg unter den wachen Augen ihres größten Fans Niels Frevert und mit einer Band, die atemberaubend schön fast nichts spielt, aufnahm, ein neues Haus im Land der Lieder gebaut hat. Neu, weil ernster in der Verzweiflung und klarer in der Hoffnung. Keine Vorhänge, nur Licht. Keine Heizung, nur Feuer.
Wer im Video zu "Warm in meinem Herz" ihr Zimmer sieht, erkennt darin keinen Gegenstand, der nicht dazu dient, ein Lied zu schreiben. Wenn ich Desiree Klaeukens und ihre Musik mit einem Wort beschreiben sollte, würde ich sagen – es klingt vielleicht doof, aber – krass! Vielleicht hat das was mit ihren vielen Leben zu tun. In "Fallen", einem meiner Lieblingssongs auf der Platte, singt sie: "Ich bin längst fort und du kommst nicht hinterher."

Ich laufe am Ortsschild von Leverkusen vorbei. Den ganzen Weg ist mir ein Hund gefolgt. Ich hab ja ihre Nummer.

Francesco Wilking

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